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Hüter des Wildes

Auf den Spuren der ethischen Jagd



Die nebelverhangene Morgendämmerung kriecht über die dunklen Wipfel des Schwarzwaldes. Wasser perlt von den ausgebreiteten Armen des Waldfrauenfarns und von den leuchtenden Blütenständen des Fingerhuts. Die Luft ist klar und feucht.


Wir streifen leise durch den vom nächtlichen Regen getränkten Wald. Vor mir läuft Georg, ein Jäger und Tierschützer aus der Ortenau, mit geschulterter Büchse, und uns voran huscht sein Foxterrier Komet, schnell wie ein Pfeil und mit stets wachsam aufgerichtet Ohren.



Unser Weg führt zu einem Hochsitz mit gutem Blick auf einen nahegelegenen Wildwechsel, einen von Wildtieren oft genutzten Pfad zwischen den Fichten hindurch. Hier sitzen wir und warten. Beobachten. Atmen die friedliche Stimmung, den langsam erwachenden Wald, ein, und ein Stück Anspannung, einen Bruchteil des weltlichen Trubels, wieder aus. Außer ein paar Mücken und den unablässig von den Baumkronen fallenden Tropfen erhaschen wir keine Bewegung. Kein Reh, kein Dam- oder Rotwild kreuzt heute den Pfad. Die Büchse bleibt unbenutzt.

Enttäuscht sind wir darüber nicht, denn beim Jagen geht es um weitaus mehr als um das Erlegen eines Tieres. Es geht um Bewusstseinsebenen, um Naturschutz, Handwerk und ein komplexes, uraltes Gefüge voll von Weisheiten für unsere moderne Welt.


Es regnet wieder. Wir haben uns in Inas gemütliche, holzgetäfelte Stube zurückgezogen und ich lausche Georgs Geschichten. Anders als der Mensch der Steinzeit wird heutzutage keiner als Jäger geboren. Auch Georgs Weg führte zunächst zu weit von der Jagd, überhaupt von der Natur entfernten Horizonten. Zwar sei eine Art Naturverbindung schon seit der Kindheit vorhanden gewesen, habe ihn aber nicht geprägt, meint er Im Norden Deutschlands machte Georg eine Ausbildung zum Gymnasiallehrer für Germanistik und Geschichte, studierte dann Pharmazie und arbeitete als Apotheker. Später, es hatte ihn wieder in den Süden gezogen, führte er gemeinsam mit seinem Bruder eine Apotheke im Schwarzwald. Hier lernte er auch seine Frau kennen, deren Großvater Jäger war. Als 1999 der Sturm Lothar große Teile des Waldgrundstücks seiner Schwiegereltern verwüstete, half er bei der Wiederaufarbeitung und begann, sich für die Zusammenhänge zwischen Waldwirtschaft und Wildbestand zu interessieren. Bald darauf entschied er sich für eine Ausbildung an der Jagdschule Kinzigtal und stieß auf ein Berufsfeld, in dem er sich zuhause fühlte. Heute, nach über 20 Jahren, ist er Vorstand der Jägervereinigung Offenburg, einer der vier Jägervereinigungen der Ortenau, leidenschaftlicher Jagdhornbläser, Jagdhundhalter und ebenso leidenschaftlich engagiert in der Kitzrettung, die zwischen April und Juni dafür sorgt, dass neugeborene Rehkitze nicht in die Fänge von Mähmaschinen geraten.


Das Erlegen und Beschützen von Wildtieren stehen für ihn in keinerlei Widerspruch, ergänzen sich sogar. Der Jagdberuf, so erzählt er, habe vielseitige Facetten - Wildbiologie, Naturkunde, Naturverbindung eingeschlossen.  Wichtig ist es vor allem, mit Herzblut bei der Sache zu sein. Mit Herzblut ein Tier töten? Ich frage ihn, ob er sich nach all den Jahren noch die Ethikfrage, die Frage nach der Erlaubnis stelle. "Jedes Mal", antwortet er. Das Erlegen eines Tieres bringe für ihn unweigerlich ein Gefühlsgemisch aus Freude, Dankbarkeit & einem Hinterfragen der Notwendigkeit des jagdlichen Tuns mit sich. Nach jedem Erlegen verbringt Georg einige Minuten in Stille, würdigt die Schönheit, Einzigartigkeit und Existenzberechtigung des Tieres, die nicht geringer ist als die eigene. Ein grüner Zweig wird ihm als traditioneller "letzter Bissen" ins Maul gesteckt - eine rituelle Geste, die den Respekt des Jägers vor dem erlegten Tier widerspiegelt.


Eine weitere Tradition, an der Georg gerne festhält, ist das "verblasen" am Ende der Jagd. Hierbei wird auf dem Jagdhorn eine bestimmte Tonfolge gespielt - Reh, Wildsau, Wolf, alle haben sie ihre eigene Melodie - um den Tod des Tieres zu verkünden und zu ehren. Was ursprünglich als notwendiges Jagdsignal zur Kommunikation über weite Distanzen diente, ist heute ein freiwilliges Ritual, das vor allem beim gemeinsamen Jagen mehrerer Jäger noch seinen Platz findet. Auch das gewissenhafte, schnelle und präzise Ausüben der nun folgenden Schritte gehören für Georg dazu - Aufbrechen, aus der Decke schlagen, Zerlegen, Verarbeiten des Wilds sollten auf eine Art & Weise erfolgen, die möglichst keinen Verlust des so wertvollen Fleischs zulässt. Gutes Fleisch herzustellen sei eine Kunst, eine uralte Technologie, bei der Leidenschaft und langjährige Erfahrung eine große Rolle spielen. Auch so werde das Geschenk des Tieres geehrt und gewürdigt. Die Nutzung und Interaktion mit der Umwelt, so Georg, beinhalten auch das Nehmen, die bewusste Entscheidung, die Offenbarung der Natur zu nutzen. Nach bestem Gewissen versuche er, seine Tätigkeit zur Erhaltung eines vielfältigen, gesunden, artenreichen Wildbestandes im Einklang mit landeskukturellen Gegebenheiten, Natur- und Artenschutz auszurichten. Viele Jäger, ergänzt er, lassen Teile ihres Jagdreviers komplett in Ruhe, um einen naturbelassenen, wilden Lebensraum für die Wildtiere zu erhalten. „All unser Tun als Jäger sollte sich an den Vorgaben, die die Natur uns macht, orientieren.“

Sicherlich habe sich durch die Jagd seine Beziehung zu Tieren, zum Fleischkonsum, zu Leben & Tod nachhaltig verändert. Er spricht von kulturellen Ritualen, die uns noch aus der Epoche der Jäger & Sammler erhalten geblieben sind, vom Spiegel der Natur, auf den wir Menschen für inneres Wachstum und Bewusstseinsentwicklung angewiesen sind und davon, diese Spiegelerfahrung auch im Beobachten, Nachstellen, Fangen, Erlegen und Nutzen tierischer Lebensformen zu finden. Von der Trophäenjagd, bei der es hauptsächlich um das Triumphgefühl des Beutemachens geht, halte er nichts. Schädel, Geweihe und Hauer von ihm erlegter Tiere behalte und präpariere er nicht etwa, um sie stolz aufzuhängen, gar zu präsentieren, sondern vielmehr als persönliche Erinnerung an seine Jagdmomente. Besonders prägend war für ihn das Erlegen seines ersten Bocks, an das er sich erinnert, als sei es gestern gewesen. An einem heißen Pfingstmontag, berichtet er versonnen, bewegt, sei ihm nach nur einer Viertelstunde auf dem Hochsitz ein Bock begegnet - unter perfekten Bedingungen, wie ein Geschenk des Waldes. Er schoss und traf das Tier so, dass ihm minimales Leid widerfuhr - darauf legt er generell besonderen Wert, und entschied sich in manch einer anderen Situation, in denen dieser Umstand nicht gewährleistet war, für das Nicht-Schießen! Die akribische Beobachtung und Betrachtung der Tiere, die Freude an deren Einzigartigkeit, sowie das bewusste Verstreichenlassen einer Chance seien für ihn ebenso elementare Bestandteile der Jagd wie das Schießen.



Auch sei für ihn die Jagd ein Weg in eine tiefe Verbindung mit der Natur. Und das nicht nur, aber auch durch den direkten Kontakt mit den Tieren - vom Belauschen des Vogelkonzerts in der Dämmerung, über die Achtsamkeit, das bewusste Wahrnehmen des Waldes mit geschärften Sinnen, das "Pirschen mit freischwebender Aufmerksamkeit", wie es der spanische Jagdethiker José Ortega y Gasset benennt, bis zum Ansitzen auf dem Hochsitz, das immer in Ruhe und ohne zeitlichen Druck geschehen solle... stets habe sich die Natur als größte Lehrmeisterin erwiesen, so Georg. Auch zu mehr Erdung und Empathie habe sie ihm verholfen, und ihm letztendlich die Berührungsängste mit Themen wie Leben, Tod & Leid genommen. "Dass ich Natur bin, habe ich durchs Jagen noch stärker erfahren." Die Jagd, mein Georg schließlich, befinde sich in einem Spannungsfeld. Verschiedene Bereiche der Nutzung natürlicher Ressourcen treffen sich hier, Interessen von Land-, Wald- & Forstwirtschaft müssen mit Themen wie Artenvielfalt und Tierschutz vereint werden. Oft würde der moderne Mensch hier seine Rolle "gegen die Wand fahren". Was es brauche, um dem entgegenzuwirken, und zum Erhalt einer lebendigen Erde beizutragen, seien Respekt, Berührbarkeit und emotionale Reife, auf persönlicher wie kollektiver Ebene. Nicht zuletzt durch das Fördern dieser Fähigkeiten, und durch das Erwecken unserer natürlichen Instinkte könne uns die Jagd dabei unterstützen, uns auf eine Zeit zurückzubesinnen, in der eine weitaus intaktere Verbindung zwischen Mensch und Natur bestand als heutzutage - und die uns als Kompass dienen kann.



Alle Texte & Bilder in diesem Artikel sind Eigentum von Janna Myska und nicht zur virtuellen oder physischen Verfielfältigung freigegeben.



 
 
 

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